Von 0 auf 100 Meilen Extremlauf USA

Von 0 auf 100 in Arizona
Unvorstellbar für mich wie viele km das läuferisch sind – 100 Meilen AM STÜCK.
Ich bin auch wirklich bekloppt mich darauf einzulassen. Mein allererster Ultralauf – sofort 100
Meilen. Gerald ein begnadeter Ultraläufer machte diesen wahnsinnigen Vorschlag, Volker (mein
Partner) war sofort begeistert dabei (er muss ja nicht laufen). Der verrückte Joe schreibt
Bücher über so Läufe und Silke hat schon viele Ultras gerockt, wir sitzen alle im Hotel
zusammen am Tag DAVOR. Ich weiß nicht was mich erwartet, bin aufgeregt es wird
abenteuerlich, spannend und ich werde meine Grenzen kennenlernen. Besonders freue ich
mich auf diese ganzen Erfahrungen und die traumhafte Landschaft, einer der Hauptgründe, die
Verbundenheit zur Natur.
Als Joe hörte, dass ich bisher gerade mal EINEN EINZIGEN Marathon in meinem Leben
gelaufen bin (das war 2015) und ansonsten relativ kurze Hindernisläufe mache guckte er mich
ziemlich schräg an: „Das schaffst du nie!“, von weiter hinten kam: „Du kennst sie nicht!“
und Gerald, der sowieso an allem „Schuld“ war sagte einfach mal gar nichts. Toll Jungs, das
hilft mir ungemein meine Aufregung im Zaum zu halten. Zur Vorbereitung bin ich öfter mal 30
km gelaufen oder 2x am Tag 10 – 20 km und so. Schließlich bin ich selbstständig und eine
Frau (Kinder, Haushalt, das übliche) also Zeitmangel. Aber ich bin mit Gerald im Taunus 1x 80
km gejoggt und hab Erfahrungen gesammelt, Joe meint das ist zu wenig, gerade mal Halbzeit
(100 Meilen sind das Doppelte) und bestätigt mir noch einmal, dass ich es bei dieser
Vorbereitung wohl nicht schaffen kann, ggggrrrrrr, und wir gingen zum Wohnmobil. Die
Aufregung steigt mächtig.
Aufregung? Nennen wir es Heidenrespekt. Hab ich alles bedacht, Kälte, Hitze, Dunkelheit,
Durst, Hunger, Blasen … was war denn überhaupt mit Müdigkeit??? Cola hilft, sagte man mir –
ich bin so gespannt. Und werde ich mich wie immer verlaufen … ???
Es war kalt, die Nacht kurz und ich wußte nicht in welches waghalsige Abenteuer ich mich da
gerade stürzte. Aber irgendwie stand ich im Startbereich. Uns wurde gesagt, dass wir die
Natur respektieren sollen, für mich als Läuferin ist die Natur das beste was es gibt, wir durften
Wege betreten, die sonst keiner darf, außer die Indianer dort. Das fand ich schon mal cool.
Frank (auch ein erfahrener Ultraläufer) sagte mir vor der Abreise: „Denk dran, es ist erst
vorbei, wenn es vorbei ist!“ (Rocky) Daran werde ich mich halten.
6 Uhr: Startschuss – oh nein kein zurück mehr … jetzt heißt es 160 km laufen, aber erstmal
winken und verabschieden – lass die anderen mal rennen, dachte ich.
Alles voller Stirnlampen, Sand (es soll ja nicht viel durch den Sand gehen, wurde gesagt,
mmmhhh WÜSTE? KAUM SAND? NAJA) und wunderschöne Felsen in knallorange vor uns in
den Lichtern. Ich bin mega begeistert von der Stimmung mit den Stirnlampen, das ist neu für
mich, irgendwie, alles ist neu für mich. Erstmal warm laufen. Meine Gedanken kreisten immer
um die Zahl 160 …
Vor dem ersten Felsen war Stau, ich fing an zu frieren und alle waren wohl noch müde … da
ging einer der Läufer schräg über die Felsen, meine Schuhe sind alpenerprobt und so bin ich
hinterher, als Hindernisläuferin kein Problem für mich. Cool, so hab ich etwas Wartezeit
gespart. Das Rumkraxeln hat mir Spaß gemacht, aber dann kam der Sand … und der Sand …
und immer noch Sand. Durst … ich trank und es machte „plopp“ der Verschluss meiner Flasche
verabschiedete sich in die Wüste und ich war nass – suuuper, fängt ja gut an.
Endlich die Canyons. Wahnsinn wie die Felsen ineinander ragen, enge Schluchten mit
unbeschreiblichen Lichtverhältnissen, grandios, kleine Kletterpartien, der Horseshoe Bend (eine
hufeisenförmige Flußschleife des Colorado, gigantisch), da kommen größere Kletterpartien und dann
wieder Sand. Extrem überwältigende Ausblicke und Farben.
Jetzt fällt mir auch ein warum ich soetwas VERRÜCKTES treibe. Die Natur ist
grandios, die Stimmung extrem angenehm, der Körper fühlt sich wirklich gut an und
man ist einfach nur glücklich. Glücklich über ein Stück Ananas oder etwas Wasser
zum Trinken, eine Brezel oder ein Keks, über die Aussicht, eine singende
Gleichgesinnte und solche Sachen.
Die Verpflegung, die Betreuung war so gut wie ich´s noch nie erlebt habe. Volker kam zum
„Horseshoe“ VP und verwöhnte mich mit allen möglichen Getränkemischungen und machte
Bilder, stellte viele Fragen – ich glaube er war aufgeregter als ich 😉
Unterwegs traf ich einige zum Quatschen, aber dann liefen wir doch immer wieder das eigene
Tempo, genau so habe ich es auch immer gelesen oder gehört.
Zwischendurch machte ich Beobachtungen, welche Strategien andere hatten, sehr spannend
war das. Ich rannte, und das tue ich immer, MEIN TEMPO, immer nach Gefühl.
Jetzt war ich auf dem Rückweg zum Startbereich, dort durften die 50 Meilen Läufer finishen
und wir 6 x 10 Meilen Runden laufen rund um Page, am Colorado River entlang – WAHNSINNS
Aussicht. Mir ging es super, hätte ich niemals gedacht nach 40 Meilen. Der Trail war zäh …
immer irgendwie hügelig, teilweise steile Abgründe, riskante schmale Pfade, was sich nachts
als großes Hindernis zeigte, denn ich wurde so müde, das war grausam und überhaupt das
schlimmste. Zwischendurch traf ich Gerald, der in der 1. Runde meinte er hört auf. „Bist DU
WAHNSINNIG??? Wir sind doch nicht hierher gefahren, -flogen und hören jetzt auf … nur
wegen diesen 10 Meilen Runden!!! Ich ziehe das definitiv durch!“ … (er natürlich auch, ich
glaube das war Taktik oder ein Test) Aber der Gedanke an 6 gleiche Runden a 10 Meilen war
anspruchsvoll in vielen Dingen, besonders mental und ein guter Durchhaltetest für mich.
Nach 100 km sagte Volker es wäre ja keine Schande jetzt aufzuhören, immerhin bin ich mehr
als je zuvor gelaufen. AUFGEBEN? Spinnt er jetzt auch??? Ich bin doch nicht stundenlang
langweilig zuhause durch die Gegend gerannt und hab alles vorbereitet damit ich jetzt hier
aufgebe – niemals. (ich glaube die Männer haben sich abgesprochen und das als
psychologische Taktik verwendet!?) Danke, ohne EUCH wäre es schlimm gewesen, ehrlich!!!
Ich war um 21 Uhr schon sehr müde, kein Wunder nach dieser Belastung, immerhin war ich
15 Stunden unterwegs. Müde einfach nur müde. Die entgegenkommenden Läufer sagten:
„good Job“ „Nice work“ Das war es wirklich… aber es half nicht, es wurden auch immer
weniger Läufer.
Dunkelheit – alleine! Selten traf ich Läufer. Wie sollte ich mich nur wach halten? Immer wieder
bin ich mitten beim Laufen eingeschlafen, vom Weg abgekommen, wieder gerannt,
wieder eingepennt – oh mannnnn. Es war wirklich extrem hart für mich, immer wenn ein
Abgrund da war hielt ich mich krampfhaft wach, damit ich nicht aus Versehen beim Einschlafen
abstürze. Ich hatte manchmal das Gefühl ich bleibe stehen… ging immer wieder langsam, fast
rückwärts – die Nacht zooooog sich ins ENDLOSE…
ABER: „Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist!!! „
Nach 3 Runden dachte ich ernsthaft, wie cool die Hälfte, juchuuuuuu es ist nicht mehr weit und
plötzlich rechnete mein Gehirn von ganz alleine: 3 Runden sind 3×16 km = 48 km!!! Das war
KRASS, ein richtiger SCHOCK – kurzzeitige völlige Wachheit – mir war schlagartig klar, dass
ich noch mehr als einen Marathon vor mir hatte – HILFE – ich habe diese Gedanken sofort
gelöscht – Ich hab dann nur noch in Runden gedacht – wie klein die Zahl 3 doch ist 😉
Müüüde – ich wollte so sehr, am liebsten, mich hinlegen, einfach, … und schlafen. Ich konnte
keine Cola mehr trinken und Zucker war auch mega ekelig – bäh – mir war so kotze übel – ich
hatte das Gefühl ich muss mich gleich übergeben, das ging stundenlang gefühlt so. Ich glaube
so gegen 1:30 Uhr kam ich völlig durchgefroren zum VP – Volker lag weiter oben gemütlich im
Wohnmobil und schlief. Ich war schon ziemlich nah dran mich dazuzulegen … aber ich hatte ja
ein Ziel … es war extrem, ich ging zum WoMo und zog mir eine dicke Jacke über, Volker
behauptete ich solle mich kurz hinlegen – ich wollte weiter und ankommen – er zwang mich
förmlich auf die Liege und testet meine Muskeln – sie waren locker – ich aber nicht – trotzdem
beruhigend nach so vielen km, das gab mir wenigstens ein gutes Gefühl in dieser Hinsicht
(Volker ist Sportmediziner) aber ich hatte ein ungutes Gefühl mit der Zeit.
Dann wieder raus auf die Strecke – siehe da nach spätestens 2 Min war ich wieder genauso
müde wie vorher, die Nacht wollte nie enden – also bis zum Morgengrauen ein Kampf gegen
den Schlaf inkl. einer doofen aber typischen 30 minütigen Verlauf-Runde 🙁 wie ätzend!
Dann ging ENDLICH DIE SONNE auf – es war Wahnsinn – so etwas habe ich noch nie erlebt
– ich rannte und rannte, ich hatte völlige Energie – unfassbar was das Sonnenlicht kann!
Ich hörte immer nur: „good job“ „nice work“ die ganze letzte Runde … „You are my
hero“ …“You are a maschine“ kam auch mal zwischendurch.
Dann war es soweit – das Ende der letzten Runde – ich rannte und rannte … voll geil!
Die letzte Runde geschafft zu haben war ein unbeschreibliches Glücksgefühl – ich kann es nicht
erklären – einfach Wahnsinn – stolz und zufrieden!
Nun musste ich nur noch 1 Meile runter ins Ziel rennen … Volker fuhr zum Ziel ganz schnell,
um Bilder zu machen… er hätte sich auch Zeit lassen können, denn typisch – ich renne an der
Markierung vorbei – hin und her im Sand wie eine BLÖDE – völlig verwirrt, dann doch
nochmal komplett zurück, da hab ich sie endlich diese schöne pinke Markierung – meine Güte
– wieso so ein Quatsch, auf die letzten 1,6 km – das kann jetzt echt nicht wahr sein – aber
nicht zu ändern – auch da muss ich durch …
Die junge singende Läuferin von gestern (sehr sympathisch) sah mich kommen und feuerte
mich mega an, sie war „nur“ 50 Meilen gelaufen und hatte wahrscheinlich schon
ausgeschlafen, da wurde mir bewusst was ich eigentlich hinter mir hatte. Sie und einige
Indianer und Volker begleiteten mich tosend und klatschend durch Ziel! (5. Frau und 22.
gesamt, von über 150 Startern, die einzige Frau aus Europa die das je gefinisht hat)
WAHNSINN und DANKE!!! Es ist vorbei – schaaaade…
Mir geht es wirklich gut – meine Vorbereitung war anscheinend perfekt, auch das Equipment.
Das beste war – ich konnte Joe meine Gürtelschnalle zeigen – ich glaube er hat jetzt Respekt
vor mir!
Für alle Frauen, die sich trauen,
Doreen Glomb
(44 Jahre, dreifache Mutter, selbstständig)
Hätte ich mich nicht getraut, fehlte mir jetzt eine riesige Portion Erfahrung (Mut, Grenzen,
Selbstvertrauen, Verantwortung, Körpergefühl, Naturverbundenheit und Dankbarkeit)